Nachdem in den vergangenen Jahren u.a. schon zu Freddy Quinn, Peter Kraus, Max Greger, Heidi Brühl, Helmut Zacharias, Alfred Hause, Gerhard Wendland oder Vicky Leandros prallgefüllte BIG BOXen erschienen sind, ist nun auch Lale Andersen an der Reihe. In diesem Jahr wäre die Künstlerin 120 Jahre alt geworden. Die Universal Music Group hat damit der zeitlosen Sängerin und ihren Freunden ein bemerkenswertes akustisches Jubiläumsgeschenk gemacht. Am 18. Juli erscheinen die 5 CDs und sind bereits vorbestellbar, überall wo es Tonträger gibt…

Seitdem die Firma Bear Family in der Sparte deutscher Tanz- und Unterhaltungsmusik für Sammler nichts mehr veröffentlicht, besinnt sich die Firma Universal von Zeit zu Zeit auf einige große Künstler ihrer inzwischen aufgekauften Schallplatten-Labels (EMI-Electrola, DGG/Polydor, Philips usw.) und veröffentlicht zu ihnen umfangreiche Sammel-Alben – wie die Reihe „Electrola… Das ist Musik!“ (= 3 CDs) oder die Reihe „Big Box“ (= 5 CDs). Besonders letztere bringt jedesmal im Kern ungekürzte, wichtige LP-Alben eines bestimmten Künstlers, die seit ihrer Erstveröffentlichung so vollständig nicht wieder erschienen sind.
Wieviel Genauigkeit, Herz und Wissen dahinter steckt, erkennt man im Detail: Die Lieder jeder Box stehen im zeitlichen Zusammenhang, ihre Chronologie ist wichtig, nicht einfach Wahllosigkeit. Zudem sind alle BIG BOXen äußerlich ähnlich gestaltet – sofort erkennbar – sie erinnern stilecht an die Innenhüllen der Electrola-LPs aus den 1960er Jahren. Die BOXen sind speziell für Sammler gedacht (oder für alle, die Musik noch immer besitzen wollen), während der gesamte Inhalt der BOXen gleichzeitig über Streaming-Dienste verkauft wird (d.h. für alle, die Musik einfach konsumieren wollen).
Die BIG BOX im einzelnen

Das Begleitheft bringt neben einem Text zum jeweiligen Künstler immer diskographische Einzelheiten zu jedem einzelnen Song der fünf Tonträger, sowie abgebildet die Plattenhüllen der Erstveröffentlichungen.
Die Lale-Andersen-BIG-BOX umfasst insgesamt 140 Aufnahmen der Sängerin. Eine solch umfangreiche Gesamtveröffentlichung zu ihr gab es bisher nie. Aus den Electrola-Alben der „plattdeutschen Lieder“, des „Portrait in Musik“ und der „Lieder für Lale“ gab es in den vergangenen Jahren vereinzelt (aber nicht in kompletter Zusammenstellung) immer mal Lieder auf CD. Dagegen ist es etwas ganz Besonderes, das Album „My Life and My Songs“ als Teil der BIG BOX zu hören; denn diese LP war 1963 eigens für den englischsprachigen Markt entstanden und ist bis heute nicht einmal in Teilen wiederveröffentlicht worden. Dasselbe gilt für die Sprechtexte der deutschen Ausgabe des Albums „Mein Leben – meine Lieder“, deren Neuveröffentlichung von keiner anderen Firma gewagt worden wäre.

Universal ging es möglichst um Vollständigkeit. Nicht alle späten Aufnahmen, die die Künstlerin beispielsweise bei Bertelsmann, bei Ariola, bei der deutschen Vogue oder bei der Edition Esplanade des Freddy-Produzenten Lotar Olias eingesungen hatte, sind heute Eigentum des Musikkonzerns. Diese mussten übergangen werden. Aber alles, was an Lale-Andersen-Aufnahmen im Firmenarchiv bei Universal liegt oder lizensierbar war, wurde mit viel Fleiß zusammengestellt und ist in der BIG BOX vertreten. Von „Hein Mück“ (1958) und „Liselott aus Bremerhaven“ (1958) über die Medleys und Sampler bis hin zu den posthum herausgekommenen „Hafenträume“ (1972) und „Ich werde warten“ (aufgenommen 1972, erstveröffentlicht 1990).
Allerdings sollten Dopplungen vermieden werden: So waren Lieder wie „Min Jehan“, „Blaue Nacht am Hafen“ oder „Ein Schiff wird kommen“ Teil mehrerer Alben – hier entschied sich Universal für nur eine einzige Wiedergabe an entsprechender Stelle. Außerdem lagen von verschiedenen Liedern unterschiedliche Album-und Single-Versionen vor: Hier bevorzugte Universal die Single-Versionen (wie bei „Ich war nur ein Mädchen vom Hafen“ oder den „Ketten aus Bernstein“), erst recht wenn diese bislang digital noch nicht veröffentlicht waren.

Einige Besonderheiten
Als absoluter Gewinn ist hervorzuheben, dass bei allen Liedern der Box auf vorhandene Aufnahmebänder zurückgegriffen wurde, um bestmögliche Qualität zu gewährleisten. Nur ein einziges Band war nicht aufzufinden – die Single-Version von „Ein kleiner goldn’ner Ring“ mit dem gesprochenen Zwischentext. Hier musste auf die LP-Version zurückgegriffen werden (ohne Sprechtext, dafür mit Trompetensolo), wenn nicht einfach die Mono-Schallplatte von 1961 digitalisiert werden sollte. Ein Umschnitt der Mono-Schallplatte ist aber bereits auf der Doppel-CD „Ich schau den weißen Wolken nach“ von Music Tales / Spectre Media zu finden, weshalb sich Universal für die Veröffentlichung der LP-Version entschied: Diese ist genauso alt wie die Single-Version, und ihr Masterband war sowohl in einer Mono- als auch in einer Stereo-Abmischung vorhanden. (Zur Wiederveröffentlichung gewählt wurde natürlich die Stereo-Abmischung.)
Erfreulich ist ebenso die Rückkehr zum ursprünglichen Klangbild mancher Titel. Das betrifft beispielsweise die Lieder „Au revoir, Marcel“, oder „Das Lied der Schwäne“, insbesondere aber „Maria-Marie“: Hier lagen aus dem Jahr 2000 Neuabmischungen vor, die auf Jürgen Brückner zurückgehen. Brückners Name auf dem Bandkarton deutet auf damalige Pläne hin, bei der Firma Bear Family auch eine große Lale-Andersen-Box vorzubereiten. Die Pläne wurden letztlich wieder verworfen. Die 2000er Stereo-Abmischungen aus dem Ursprungs-Aufnahmematerial verblieben im Archiv – sie unterschieden sich jedoch stark von den jeweiligen Single-Veröffentlichungen. Beim „Marcel“ und bei den „Schwänen“ etwa fielen der linke und der rechte Audio-Kanal völlig auseinander: Der Gesang lag komplett auf dem einen Kanal, die Instrumentierung oder die instrumentalen Spezialeffekte komplett auf dem anderen Kanal, sodass kein ausgewogener Höreindruck vorhanden war, sondern eine Verschiebung zu einer dominanten Seite rechts oder links. Die Abmischungen waren klanglich komplett unausgewogen. (Wer sich für diese Abmischungen interessiert, sei z.B. auf Spotify oder Youtube verwiesen.)

„Maria-Marie“ war noch zusätzlich ohne jeden Hall abgemischt worden, sodass alle Gesangsstimmen matt und gedämpft klangen. Dadurch schien das ganze Lied zu schleppen, wenn man es mit seiner originalen 1962er Single-Version verglich. Die 2000er Fassung wirkte also anachronistisch, keinesfalls wie eine finale Abmischung. Universal entschied sich deshalb auch hier konsequent dafür, zum Ursprung zurückzukehren und solche Verfälschungen nicht zu übernehmen. (Wer sich für die Abmischungen vom 7. Februar 2000 interessiert, sei wiederum auf Spotify oder Youtube verwiesen.)
Fazit
Zusammenfassend gesagt, kann man dieser herausragenden Veröffentlichung nur besten Absatz wünschen! Es ist selten, dass heute – in Zeiten des schnellen, oberflächlichen Musikverbrauchs – noch etwas derart Sammelwürdiges entsteht. Die Klangqualität ist perfekt, da von den originalen Aufnahmebändern digitalisiert wurde. Die Informationen zu jedem Titel sind detailreich, jeweils nachgeprüft und verbürgt. Während die CD als Musikträger allgemein totgesagt ist, setzt die Universal ihre Serie der Künstleralben unbeirrt fort. Die BIG BOX zu Lale Andersen ist auf verschiedenen Ebenen einfach Spitze. Ihr ist eine breite Nachfrage zu wünschen, besonders unter uns Sammlern, damit solche aufwendigen Serien noch so lange wie möglich laufen.