Lale-Andersen-Archiv

Die kuratierte Datenbank deutscher Populärmusik 1930 bis 1970

Lale-Andersen-Archiv
Autor: M. Deinert
1. August 2024

Original – und Fälschung

Kunstfälscher oder auch die Geschichte mancher Fälschung (Stichwort: Kujau und die Hitler-Tagebücher) kennt man. Darum ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch die Handschrift anderer Personen der Zeitgeschichte gefälscht wird, z.B. von Schauspielern, Sängern und sonstigen Sternchen: Wenn Autogramme und Autographen eines solchen Promis gefragt sind, können sie einem Fälscher garantiert etwas Geld einbringen.

Von Lale Andersen liegen zahlreiche echte Autographen vor – inzwischen allerdings auch zweifellos unechte. Da manche Fälschung bereits in öffentliche Sammlungen eingegangen ist (wie ins Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn), dort für echt gehalten wird und deshalb bei jeder Ausstellung, jedem Abdruck und jeder digitalen Abbildung einen Wahrheitsgehalt beansprucht, den sie nicht besitzt, soll das Thema hier näher beleuchtet werden…

echtes Schriftbeispiel 1938 | Quelle: LAA Potsdam
echtes Schriftbeispiel 1941 | Quelle: LAA Potsdam

Die echte Handschrift Lale Andersens ist verhältnismäßig unverwechselbar: Den Schwung der Schlaufen – wie das eigenwillige kleine A oder das fast genauso gebildete nur größer geschwungene kleine L, das geschlaufte und durchgestrichene kleine T, das nach oben hin stets offene kleine O, oder die Neuansetzung mancher Buchstabenkombinationen auch in der Wortmitte, wie des CH oder des kleinen G, die konsequente Nichtverwendung des ß und andere Eigenheiten – hatte die Künstlerin seit den 1930erJahren, also schon frühzeitig kultiviert. Diese Art des sehr rund ausgeschwungenen Schreibens behielt sie bis zu ihrem Tode bei. Und da Lale Andersen oft und gerne schrieb (auch Tagebuch und Briefe schrieb), ist ungemein viel Handschriftliches von ihr erhalten:

echtes Schriftbeispiel um 1962 | Quelle: LAA Potsdam

 

Grundsätzliches

Hinter den Fälschungen, die eindeutig als solche auszumachen sind, lassen sich unterscheiden:

    • Fälscher, die sich Mühe machen, um ein Original zu kopieren
    • Fälscher, die sich Mühe machen, aber kein Original kopieren
    • Fälscher, die sich keinerlei Mühe machen.

Von allen drei Gruppen soll jetzt die Rede sein. Grundlegend aber erst einmal zur Begriffsbestimmung: Fälschung – oder Kopie? Die Kopie einer Unterschrift kann es nur mechanisch geben (durch fotografieren, fotokopieren, scannen oder sonstige Abtastung). Zu sehr verweist die Handschrift eines Menschen authentisch auf den, der sie schreibt.

Sobald aber die Unterschrift eines Einzelnen als die eines anderen ausgegeben wird, liegt eine Täuschungsabsicht zugrunde – und dann muss von Fälschung gesprochen werden, da bewusste Irreführung naheliegt: Andere sollen glauben, es handele sich um die Wiedergabe der echten Handschrift und Autorschaft. Von Gemäldefälschern kennt man dies seit Jahrhunderten, die nicht nur die Malweise eines gefragten Künstlers aus persönlicher Freude nachahmen, sondern zusätzlich mit der imitierten Künstlersignatur auch noch die Urheberschaft des gefragten Künstlers vortäuschen wollen. Damit Geld zu erlangen, ist wohl fast immer die Absicht solcher Fälschungen.

 

Fälschungsbeispiele 1 und 2

Fälschungsbeispiel 1 | Quelle: LAA Potsdam

Auf eine Nachahmung der Unterschrift Lale Andersens griff wohl als erstes eine Publikation der Kriegsjahre zurück – Der Eulenspiegel (1941, Heft 7/8) herausgegeben vom „Kabarett der Komiker“ (Willi Schaeffers) – vielleicht aus drucktechnischen, also ganz pragmatischen, einfach grafischen Gründen; denn Ruhm- oder Gelderwerb kann hierbei nicht der Zweck gewesen sein.

Die Imitation ist als fremdartig erkennbar, wenn man die eigentliche Handschrift der Künstlerin kennt. Hier wurde kein bestimmtes Original kopiert. Allerdings könnte hierbei auch der Fall vorliegen, dass die Künstlerin selbst (beispielsweise auf dem Briefumschlag an die Redaktion des Heftes, wir wissen es nicht) aus Gründen besserer Lesbarkeit versucht hat deutlich zu schreiben und daher von ihrer eigenen, schnellen Handschrift bewusst abwich, und diese Deutlichschreibung des eigenen Namens dann für den Druck abgelichtet wurde.

Zum Vergleich mehrere Originale jener Zeit nebeneinander:

echtes Schriftbeispiel 1941

 

 

echtes Schriftbeispiel 1949

 

Die 1941 gedruckte, wohl rein grafische, illustrierende Fälschung – oder eben die bewusst abgewandelte Deutlichschreibung – bekam Nachkommen:

Fälschungsbeispiel 2 | Quelle: LAA Potsdam

Denn später (auf einer Autogrammkarte des Jahres 1954) griff ein Fälscher auf ebendiese Imitation zurück, um seinerseits zu imitieren; die Nachahmung einer Nachahmung also. Vermutlich hat der Fälscher nicht gewusst, dass es sich bei seiner Vorlage gar nicht um die echte Wiedergabe des Autogramms handelte, sondern nur um eine Grafik. Hier muss bereits Ruhm- oder Gelderwerb die Fälschungsabsicht gewesen sein, denn eine Autogrammkarte wird üblicherweise für das originale Autogramm des Dargestellten verwendet (ihr Name sagt es schon).

 

Fälschungsbeispiel 3

Fälschungen ganz anderer Art, bei denen der Täter kaum Mühe, Absicht oder Geschick aufgewandt hat, sind am leichtesten zu enttarnen – werden doch hierbei manche der Buchstaben völlig anders gebildet und gesehen, anders aufgefasst und ausgeschrieben, vom Neigungswinkel der Schrift ganz zu schweigen. Ohne Vorlage oder genaue Vorstellung wird einfach irgendeine Schreibweise aufs Papier gebracht.

Fälschungsbeispiel 3 | Quelle: LAA Potsdam

Trotz der leichten Erkennbarkeit dieser Fälschungen wischen Händler solcher Autographen aus geschäftlichen Gründen alle Zweifel beiseite. Ein Verkäufer, nach der Herkunft seiner Fälschung befragt, antwortete mir beispielsweise:

Meine Erfahrung hier ist nun mal, dass sich eine Unterschrift im Laufe einer Karriere über 30, 50 oder mehr Jahren immer verändert. Dazu kommt auch immer der Moment der Unterschrift. Wenn der Künstler in Eile oder sonst wie genervt etc. ist, dann sieht die Unterschrift so gut wie immer anders als gewohnt aus. […] Und generell gilt auch hier: Geben Sie ein Autogramm 10 Gutachtern zur Beurteilung, dann erhalten Sie auch 10 verschiedene Gutachten. So ist also meine Erfahrung.

Könnte man bei verunglückten, doch im Ansatz wenigstens ähnlichen Buchstaben zwar noch Eile oder sonstige Behinderung vermuten, ist das nicht glaubhaft bei einer ganz bedächtig und sorgfältig geschriebenen Linie. Hier ist nicht flüchtig eine bestimmte Form reduziert worden, sondern die Schrift ist erkennbar bedächtig gezogen worden, eine Form genau nachahmend – aber nicht hastig reduzierend oder verwaschen.

 

Fälschungsbeispiel 4

Fälschungsbeispiel 4 | Quelle: LAA Potsdam

Interessant ist, dass zumindest in einem sicheren Fall kein Gleichgültiger zur bewussten Fälschung ansetzte – sondern ein Bewunderer der Künstlerin (seinen Namen verschweige ich an dieser Stelle), der kurz nach Lale Andersens Tod begann, in Briefen seine eigene Handschrift der der verstorbenen Künstlerin anzupassen. Alle diese Kugelschreiber-Beispiele, auch die eingangs erwähnte Karte im Haus der Geschichte der Bundesrepublik, stammen aus einer einzigen Quelle des Verteilens. Daher ist ziemlich sicher, wer der Urheber dieser erfundenen Signaturen gewesen ist.

Die Motive dafür können heute nicht mehr ermittelt werden: Eine teilweise Identifikation mit der angehimmelten Künstlerin könnte vorgelegen haben, oder auch finanzielle Gründe könnten ausschlaggebend gewesen sein. Seine Motivation ist freilich durch nichts zu belegen. Später ging dieser Bewunderer dazu über, Schallplattenhüllen und Autogrammkarten zu beschriften, ähnlich dem wie die Künstlerin es zu Lebzeiten getan hatte.

Fälschungsbeispiele zu 4

Lale Andersen ist ihrer breiten Füllfeder und der Tinte zeitlebens treu geblieben – nur vereinzelt, wenn keine Tinte zur Hand war, griff sie zum Filzstift oder Bleistift. Doch die Beispiele für Aufzeichnungen mit Kugelschreiber von Lale Andersen sind absolut spärlich. Offenbar schien ihr der gleichförmig dünne Strich des Kugelschreibers nicht zu gefallen; dagegen betont die wechselnde Strichstärke des Füllfederhalters den Schwung ihrer Handschrift weitaus stärker und wurde vielleicht aus diesem Grund bevorzugt. Ihre bisher bekannten Fälscher bevorzugen dagegen die bequemen Schreibmittel, die sie selber gewöhnt waren.

Spätestens stutzig aber muss es machen, wenn die bezweifelte Handschrift jedesmal, wo sie auftritt, auf Nachfrage immer aus derselben Verkaufsquelle stammt. Hier spricht nicht nur die Stilanalyse gegen Echtheit, sondern zusätzlich der stets gleiche Ursprung.

 

Aufbewahrungsreiz und -nutzen

Lässt sich Fälschungen überhaupt etwas abgewinnen? Ich denke: ja. Die Häufigkeit auftretender Fälschungen müsste dafür sprechen, dass der gefälschten Handschrift ein Wert beigemessen wird… irgendein Wert. Sonst würde sich eine Fälschung für den Fälscher nie lohnen, sei es materiell, sei es ideell.

Der Sammler immerhin besitzt Kuriositäten – sie sind zwar kein Original, kein echtes Relikt der prominenten Person. Doch sie teilen vom Stellenwert der prominenten Person etwas mit, sie besitzen also eine kulturhistorische Aussagekraft.

Bedenklich wird es erst, wenn die Fälschungen prominenter Originale überhandnehmen und die gesicherten Originale zahlenmäßig übersteigen, wenn seltene Originale also inmitten unzähliger Kopien schwerer und schwerer abgrenzbar werden. Aber von diesem Zustand sind wir bei Lale Andersen noch ausreichend weit entfernt.

Autogramm von Lale Andersen als Lili Marleen 1946
Autogramm von Lale Andersen als Lili Marleen 1946 im LAA Potsdam | Motivfoto: Ernst Baumann (*1906 †1985) für Ufa ca. 1942.
echtes Schriftbeispiel | Quelle: LAA Potsdam
echtes Schriftbeispiel | Quelle: LAA Potsdam
echtes Schriftbeispiel | Quelle: LAA Potsdam
echtes Schriftbeispiel | Quelle: LAA Potsdam