Lale-Andersen-Archiv

Die kuratierte Datenbank deutscher Populärmusik 1930 bis 1970

Lale-Andersen-Archiv
Autor: M. Deinert
15. September 2018

Objekt des Monats 10/2018

Bei diesem signalfarbenen Faltblatt handelt es sich um eines der frühesten Programme, die uns über Lale Andersens erste Engagements Auskunft geben. Noch unter ihrem bürgerlichen Ehenamen Liselotte Wilke steht sie am 30. März 1931 für zwei Lieder auf einer linken Brettl-Bühne in Berlin.

Die Wespen, 1926 gegründet vom jüdischen Verlagsbuchhändler Leon Hirsch als sogenanntes fliegendes – also ortswechselndes – Kabarett, galt als Sammelbecken KP-naher Künstler wie Ernst Busch, Hanns Eisler, Annemarie Hase, Erich Mühsam, Ilse Trautschold, Erich Weinert. Schon ein Jahr später wurde es aufgrund einer preußischen Notverordnung verboten.

 


Programmblatt des Berliner Kabaretts "Die Wespen" vom 30. März 1931, DeckblattProgrammblatt des Berliner Kabaretts "Die Wespen" vom 30. März 1931, aufgeklapptAm genannten Abend jedoch ist Liselotte Wilke seit ein paar Tagen erst 26 Jahre alt. Woher oder von wem die junge Wilke die beiden Lieder erhalten hat, die sie darbietet, wissen wir zunächst nicht. Gerade in das Lied oder den Vortragstext zum „§ 218“ (dem Abtreibungsparagraphen) aber muss sie einen ganz besonderen, eigenen Zug gelegt haben, immerhin war sie bereits dreifache Mutter, hat kurz darauf Ihre Ehe und Ihre Heimatstadt verlassen, um in Berlin, München oder Zürich Fuß fassen und sich ein selbstbestimmtes Leben aufbauen zu können.

Das Chanson „Käthe“ bleibt über Jahre in ihrem Repertoire, wurde über den Rundfunk gebracht, mehrfach in Soloprogrammen (z.B. unter der thematischen Rubrik „Erfüllungsort Berlin“) vorgetragen und in der Presse besprochen – auch wenn es nie auf Schallplatte erschien und uns Heutigen deshalb unbekannt ist.

Interessant ist, wer am selben Abend hier in Berlin auf demselben Brettl steht: Zum einen Günter Neumann, gerade einmal 18 Jahre alt, der schnell dieselbe Berühmtheit erlangen wird wie auch Lale Andersen, besonders mit seinen Nachkriegs-Insulanern ab 1948 beim Berliner RIAS. Zum anderen die russisch-polnisch-jüdische Tänzerin und Sängerin Hanna Goldstein, international besser bekannt als Chaja Goldstein, oder die ebenfalls später als „Halbjüdin“ verfemte Tänzerin Julia Marcus.

Wer der Vorbesitzer des Faltblattes war, ist unbekannt. Er hat es übrigens nicht wegen Lale Andersen alias Liselotte Wilke aufbewahrt, sondern wohl wegen eines anderen Künstlers des Abends, zu welchem er weitere Zeitungsausschnitte auf die Rückseite klebte: Siegfried Schapira. In der zeitgenössischen Presse als „Meister der Vortragskunst“ tituliert, ist er heute völlig vergessen. Vermutlich ist auch bei ihm der Grund, dass er von den Nationalsozialisten als jüdisch verfolgt und damit vertrieben wurde. Sein Name mit der Ortsangabe „Jerusalem“ erscheint jedenfalls in einem Aktentitel des „Reichskommissars für die Behandlung feindlichen Vermögens“, aufbewahrt im Bundesarchiv (BArch, R 87/2779). Zu ihm ist also weitere Forschung nötig.