Lale-Andersen-Archiv

Die kuratierte Datenbank deutscher Populärmusik 1930 bis 1970

Lale-Andersen-Archiv
Autor: M. Deinert
1. November 2024

Objekt des Monats 11/2024

Die erneute Entdeckung einer Fälschung brachte mich auf den Gedanken, mir die zahlreich archivierten Dubletten einzelner Singles genauer anzuschauen. Denn an jeder Schallplatte muss sich an Merkmalen ablesen lassen, WANN sie gefertigt worden ist. Ausschlaggebend für diese Dubletten-Sichtung war sicherlich auch mein Haareraufen darüber, dass in der Discogs-Datenbank als Erscheinungsjahr einer Platte öfters nur das Erst-Erscheinungsjahr angegeben ist. Selbst bei Nachpressungen geben die Beiträger dort meist nur das Erst-Erscheinungsjahr einer Scheibe an, weil es leicht zu ermitteln ist und weil die Unterschiede bei Nachveröffentlichungen den Verkäufern oder Sammlern gar nicht ins Auge fallen.

Autogrammfälschung auf der Bildhülle von Electrola E 21 615 | Quelle: LAA Potsdam

Zunächst zur Fälschung: Das „Autogramm“ gaukelt eine Datierung vor, die Unsinn ist: Laut Schriftzug soll die Platte oder Hülle 1959 „In Love“ von Lale Andersen gewidmet worden sein – doch die Schallplatte ist erst im Herbst 1960 produziert worden, die hier autographierte zweite Bildhülle der Scheibe sogar noch einige Monate später herausgekommen. Für kundige Augen ist auch die Schreibweise schon verräterisch genug… aber zu solchen Fälschungen habe ich mich genauer an anderer Stelle geäußert.

Nun zu einer Info, die sich aus der Auswertung etlicher Dubletten ableiten lässt… Ein kleiner Monatsartikel bietet zwar nicht den Platz, sich ausführlich zu Datierungsfragen deutscher Pressungen zu äußern. Meine eigenen Erkenntnisse fließen stattdessen in die Lexikonartikel zu einzelnen Schallplattenmarken (z.B. Decca, Philips, Telefunken, Tempo) oder in die Einträge zur Fabrikation (z.B. der Vinylschallplatten oder der Sofortplatten) mit ein. Aber eine der auffälligsten Erscheinungen möchte ich in diesem Monat herausgreifen:

Bei der Electrola (und entsprechend bei den übrigen EMI-Marken wie Columbia oder Odeon) ist es 1961 zu Änderungen in der Schallplattenproduktion gekommen, die sich an den Schallplatten selbst – somit auch an Lale Andersens Veröffentlichungen dieser Zeit wie „Ein Schiff wird kommen“ – gut abbilden. Die Single-Platten dieser Firma weisen ab 1961 einen gerillten/gerieften Kranz auf, der wohl bei Plattenwechslern als Abstandshalter und Rutschwiderstand gedacht war, und welcher sichtbar das Etikett von den Auslaufrillen trennt. Dieser Kranz ist Teil der Pressform des Vinyls, sodass sich in dieser Zeit die Fabrikation geändert haben muss.

Gleichzeitig wandeln sich auch die Etiketten: Sie werden kleiner und vom neuen Riefenkranz sauber umrandet. Bei der Umgestaltung der Etiketten hat sich der weiße Schriftzug „ELECTROLA“ geändert (er wird gedrungener, fetter). Verändert ist ebenfalls der darunterliegende Schriftzug, der bei den großen Etiketten noch „HIS MASTER’S VOICE“ lautete, bei den kleineren neuen Etiketten nun mit „DIE STIMME SEINES HERRN“ übersetzt ist.

Es gibt auch über eine kurze Zeit Mischformen beider Neuerungen, das heißt: neue Vinyl-Pressform mit trotzdem großem Etikett – hier liegt der Riefenkranz dann unter dem Außenrand des Etiketts. Vielleicht sind hierbei vorhandene Restbestände jeweiliger Etiketten noch aufgebraucht worden, bevor man neue Etiketten druckte und verwendete.

Abb. 1 – deutsche EMI-Pressungen bis etwa Juni 1961.

Da von den Lale-Andersen-Platten die Erst-Veröffentlichungen durch Katalogeinträge und Promo-Platten gut dokumentiert sind, lässt sich der ganze Wechsel einigermaßen zeitlich gut eingrenzen. Im September 1960 kommt die Single mit „Ein Schiff wird kommen“ auf den Markt: die Promo-Schallplatte und auch die kommerziellen rot-etikettierten Schallplatten zeigen das große Papieretikett und noch keinen Riefenkranz im Vinyl (Abb. 1). Auch beim Wechsel der ersten Bildhülle zur zweiten Bildhülle, etwa Oktober/November nach den ersten 100.000 verkauften Exemplaren (denn aus Anlass der nächsten Erfolgsmarke von 200.000 verkauften Exemplaren ziert das Dezemberheft 1960 der Zeitschrift „Leg auf + sieh fern“ bereits das neue Foto), ist alles noch beim Status quo.

Abb. 2 – deutsche EMI-Nachveröffentlichungen von Juli 1961 bis etwa zum Winter 1961.

Dann aber ab Sommer 1961 werden bei EMI Electrola alle Vinyl-Singles mit Riefenrand gepresst. Von der Juli-Neuveröffentlichung E 21 883 („Ein kleiner gold’ner Ring„/“Einmal sehen wir uns wieder„) sind mir ausnahmslos die kleinen Etiketten auf Riefenkranz-Pressung bekannt. Einige gefragte Nachauflagen älterer Nummern (wie „Ein Schiff wird kommen“ , „Jonny“ oder „Matrosen aus Piräus„) werden schon mit neuer Vinyl-Pressform nachproduziert, verwenden aber noch die großen Etiketten, die über den Riefenrand hinausragen (Abb. 2).

Abb. 3 – deutsche EMI-Pressungen ab Juli 1961.

Ab Winter 1961, spätestens jedoch ab Anfang 1962, werden auch bei deren Nachpressungen nur noch die kleineren, neuen Etiketten verwendet, die den Riefenrand freistehend lassen (Abb. 3). (Schauen wir allerdings in der Discogs-Datenbank nach, sind zwar viele Varianten der Schallplatte „Ein Schiff wird kommen aufgeführt, die allesamt aber mit dem Veröffentlichungsjahr 1960 angegeben sind – was keinesfalls stimmt.)

Somit lässt sich als grundsätzliche Erkenntnis formulieren: Auch wenn Sammler aus Platzgründen häufiger mit dem Gedanken spielen, ihre überzähligen Exemplare ein und derselben Veröffentlichung abzustoßen – sinnvolle Vergleiche und Rückschlüsse lassen sich nur bei mehrfach vorhandenen Exemplaren anstellen. Sonst bleibt man stets darauf angewiesen, alles zu glauben, was im Internet an Veröffentlichungsjahren einer Pressung genannt wird. Außerdem wird nicht deutlich, über welchen Zeitraum der Produktion und des Verkaufs gewisse Veröffentlichungen erfolgreich waren.

Bevor einer von uns Sammlern die Zeit und die Möglichkeit haben wird, produktionsspezifische Besonderheiten aus historischen Akten und Firmendokumenten zu schöpfen, halten wir uns fürs erste besser an das Greifbare in unseren Sammlungen. (Sollten zu den genannten Beobachtungen bereits Detail-Kenntnisse vorliegen, bitte ich um Nachricht.)