Lale-Andersen-Archiv

Die kuratierte Datenbank deutscher Populärmusik 1930 bis 1970

Lale-Andersen-Archiv
Autor: M. Deinert
15. Januar 2019

Objekt des Monats 01/2019

Die zuletzt gepresste und offiziell verkaufte Neuerscheinung von Lale Andersen vor dem Kriegsende ist eine Kopplung der Lieder „Das muss man alles verstehen“ und „Der Feldmohn“ auf Electrola EG 7326. Sie ist im Frühjahr 1944 erschienen. Sowohl die späte Aufnahme des „Feldmohns“ (im Dezember 1943) als auch die späte Schallplattenveröffentlichung sind beachtlich, da Electrola bereits ab 1943 „nur noch 8 monatliche Veröffentlichungen bei einem halben Dutzend Kategorien“ herausbrachte.[1]

Abb. 1

Zu hören sind auf der Schallplatte zwei Vortragslieder, die aus Lale Andersen Repertoire der Kriegsjahre stammen. Mit ihrer starken Betonung des Heimwehs und individueller Rückkehrwünsche hätten sie als allzu sentimental in der Hochphase des Krieges sicher nicht erscheinen dürfen. Aber beide – also das Hafenlied „In Puert‘ Allegre“ (hier genannt: ,Das muss man alles verstehn‘) von heute vergessenen Autoren und die Kriegsballade „Der Feldmohn“ von Hans Leip, gänzlich unkommerziell vertont von Rudi Zink – erscheinen eben nicht in der Hochphase des Krieges, sondern in seiner Endphase: In dieser werden deutsche Städte bereits im zweiten Jahr zunächst strategisch, schließlich unbarmherzig bombardiert, sind also Zerstörung, Tod und Verzweiflung auch für die letzten Verblendeten allgegenwärtig. Damit ist der deutschentfesselte Krieg und nicht etwa heimkommende Soldaten ins Reichsgebiet zurückgekehrt. Als die Schallplatte erscheint, liegt die vernichtende Schlacht von Stalingrad ein Jahr zurück, die Kapitulation des deutschen Afrika-Korps ein halbes, der sogenannte D-Day ist nur noch wenige Wochen entfernt.

Die Erstausgabe der Schallplatte aus dem Frühjahr 1944 ist an ihrem weinroten, glänzenden Electrola-Etikett mit mattgoldener Beschriftung erkennbar (Abb. 1).

Abb. 2

Dagegen muss die Nachpressung durch Electrola unmittelbar nach dem Neubeginn der Fabrikation der Firma herausgekommen sein: Das stark holzhaltige und nicht-farbechte Papieretikett (weinrot mit weißer Beschriftung) trägt ganz am oberen Rand den Vermerk „Hergestellt unter der Zulassung Nr. B-502 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung“ (Abb. 2).

Abb. 3 – Electrola-Anzeige, aus: Vier Viertel (4/1947), S. 19.

Da ab Dezember 1947 Electrola wieder erste Anzeigen in den Zeitungsspalten veröffentlichte (Abb. 3), ist also das Veröffentlichungsdatum der Nachkriegspressung wohl mit dem Weihnachtsgeschäft 1947, aber auch darüber hinaus bis 1949 zu vermuten, da die Verwendung eines leicht veränderten Electrola-Papieretiketts (braun mit beiger Schrift, Abb. 4) bis dahin üblich war.[2]

Abb. 4

Allen bisher genannten Veröffentlichungen ist gemeinsam, dass das Pressmaterial – der Schellack – wegen Rohstoffmangels 1944 bis 1949 in Deutschland eine nur ungenügende Güte aufwies. Glücklicherweise brachte der britische Mutterkonzern His Master’s Voice um 1950 (wohl anlässlich Lale Andersens Gastspielreise durch England im März 1950) mehrere alte Electrola-Aufnahmen der Künstlerin heraus, neben „Lili Marleen“ u.a. auch die hier besprochene Liedkopplung (Abb. 5).

Abb. 5

Im Lale-Andersen-Archiv Potsdam liegt die 1944er Erstveröffentlichung zweimal vor – die ca. 1947er Nachkriegspressung einmal, die 1948/1949er Nachkriegspressung zweimal und die 1950er britische HMV einmal.

 

Belege

[1] Quelle hierfür ist ein Schreiben vom 24.02.1943 an Grete Deditsch, in: Fox auf 78, Nr. 25, S. 106.

[2] Zumindest lässt sich beobachten, dass das beschriebene matte Papieretikett z.B. noch bei Electrola EG 7370 (= Rosl Seegers) verwendet wird, wobei es sich um zwei Aufnahmen vom 29. Juni 1949 handelt, die erst zum Sommer 1949 veröffentlicht worden sein können.